Ein Friedhof wird rekultiviert
Hätte man ein Sinnbild für die täglichen Provokationen auf dem Gartenfriedhof erfinden wollen, man hätte es wohl besser nicht inszenieren können. Während gestern mehr als 70 Besucher zur Feierstunde am Grab des königlichen Hofbaumeisters Christian Heinrich Tramm (1819?1861) gekommen waren und der 150. Wiederkehr der Grundsteinlegung des von ihm entworfenen Henriettenstifts gedachten, warfen keine 50 Meter entfernt junge, angetrunkene Männer einen Gummiball über das historische Gräberfeld in die Nähe der Gruppe und ließen ihren kräftig gebauten Kampfhund den Ball in hohem Tempo apportieren. Mehrfach sprang der Vierbeiner nach dem Ball, überquerte die Gräber und bremste so abrupt, dass der Boden staubte. Hunde sind auf dem Friedhof erlaubt, weil das Stadtparlament sich nicht durchringen kann, dort die Friedhofssatzung anzuwenden. Der Gartenfriedhof gilt deshalb als normaler Park – auch dort allerdings müssen Hunde eigentlich angeleint sein, nicht nur wegen der derzeitigen Brut- und Setzzeit. „Er braucht doch Auslauf“, sagte einer der jungen Männer später, räumte aber ein, dass die Provokation „vielleicht ein bisschen dumm“ gewesen sei. Seinen Namen wollte er nicht sagen.
Die Gedenkstunde selbst hingegen verlief sehr friedlich. Die frisch gegründete Initiative „Renaissance Gartenfriedhof“ sieht darin den Auftakt des Versuchs, die „Erinnerungskultur“ in dem Friedhofspark aufleben zu lassen, wie der Vorsitzende, der ehemalige Landessuperintendent Dieter Zinßer, sagt. Künftig wollen die Mitglieder häufiger an wichtigen Daten zu den dortigen Gräbern einladen. Gedacht ist etwa an Lesungen oder auch mal an ein szenisches Theaterstück in Zusammenhang mit dem Leben der dort Bestatteten. Auf dem Gartenfriedhof sind zahlreiche Mitglieder bekannter hannoverscher Familien (Ramberg, Arnswaldt, Kestner, Tramm und viele andere) beerdigt. Die Initiative will zudem Patenschaften für Grabmäler vermitteln und die Grüngestaltung verbessern.
Zur gestrigen Feierstunde war das ?tramm?sche Familiengrab mit einem leuchtend bunten Kranz geschmückt. Volker Milkowski, Vorsteher der Henriettenstiftung, erinnerte an die Gründung der Institution: Marie, die letzte Königin von Hannover (1818–1907), legte aus dem Erbe ihrer Großmutter Henriette den Grundstock für den Bau eines Hospitals, das entsprechend den Namen Henriettenstiftung erhielt. Am 14. April 1861, zugleich auch Geburtstag Maries, wurde an der Marienstraße der Grundstein für das Krankenhaus gelegt. Seitdem sei zwar „die Arbeitsweise den jeweiligen Erfordernissen der Zeit angepasst worden“, sagte Vorsteher Milkowski, „doch der Geist des Hauses ist noch derselbe wie vor 150 Jahren“.
Bauhistoriker Sid Auffarth würdigte mit einem Lichtbildvortrag in der Gartenkirche das Lebenswerk des Architekten Tramm (1819–1861), der mit prominenten Bauten wie dem Welfenschloss oder zahlreichen Villen den sogenannten Stabwerk-Rundbogenstil in Hannover etablierte. Er war Nachfolger von Hofbaumeister Laves.
Zu Beginn der Feierstunde hatte Initiativvorstand Zinßer seiner Hoffnung Ausdruck gegeben, dass „für alle Nutzer des Gartenfriedhofs bald eine gute Lösung gefunden wird“. Angesichts der dauerhaften Trinkergelage hatte der Bezirksrat Mitte im Dezember beschlossen, dass Mitarbeiter des Karl-Lemmermann-Hauses, einer Wohnungslosen-Einrichtung der Diakonie, für 2500 Euro die Situation untersuchen und Lösungswege erarbeiten sollen. Auch die Polizei ist regelmäßig vor Ort. Am Sonntag gab es eine längere Untersuchung der dort lagernden Parkbesucher, auch die umliegenden Grabsteine wurden auf mögliche Drogenverstecke gefilzt – „mit Gummihandschuhen“, wie Anwohner registrierten. „Wir haben ein Interesse daran, die dortige Drogenszene im Auge zu behalten“, bestätigte gestern ein Polizeisprecher und kündigte weitere Kontrollen an. |
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