Mehrwert steuern
Ein Gespräch mit Kamiel Klaasse von NL Architects

Text: Ludger Fischer
 

Wann haben Sie sich zum erstenmal verliebt, Herr Klaasse?

Da war ich vier. Es war eine sehr schöne Frau und sie war unsere Kindergärtnerin. Ein Jahr später habe ich mich dann in ein gleichaltriges Mädchen verliebt und damit hatte ich mehr Erfolg. Ich war ihr Hauptverehrer und wir haben natürlich geplant zu heiraten. Wir hatten einige Jahre eine ernsthafte Beziehung.

Ist Liebe für Sie noch immer ein treibendes Gefühl oder etwas Nebensächliches?

Im Beruf würde ich es eher Hingabe nennen. In einigen Fällen kann es aber zu wirklicher Liebe werden. Deshalb kann dieser Beruf auch furchtbar schmerzhaft sein. Wenn man merkt, dass eins seiner „geliebten Babys“ vorzeitig stirbt, trauert man darum, wie um einen Menschen.

Bleiben wir mal bei der Liebe zu Menschen.

Oje. Na gut. Darauf bin ich nicht vorbereitet. In meinem Leben kann man das sowieso nicht trennen. Liebe zur Architektur ist Liebe zu Menschen. Und Tieren!

Eltern lieben ihre Kinder.

Sicher! Mein Vater war Künstler. Er konnte schon als Kind schnell zeichnen. Wie im Zirkus. Als Junge hat er tatsächlich im Zirkus gearbeitet. Die Leute konnten ein Thema nennen und er hat’s gezeichnet. Man musste ihm nur ein Thema nennen und er hat’s gezeichnet. Er hat Bücher illustriert. Als er einmal seinen linken Arm gebrochen hatte – er ist Linkshänder –, musste er mit der rechten Hand weiterarbeiten. Dadurch konnte er nachher mit beiden Händen schreiben und Zeichnen und das sogar gleichzeitig. Das könnte nicht mal Johan Cruyff! Er konnte noch nicht einmal selbst einen Unterschied erkennen, mit welcher Hand er gezeichnet hatte. Wir haben uns viel zusammen angesehen. Er hat mich sehen gelehrt. Manchmal konnte er mit einem einzigen Strich meine Zeichnungen korrigieren, die Perspektive ändern oder die Komposition und den Ausdruck vervollständigen. Zur Architektur bin ich dann aber durch meine Mutter gekommen. Trotzdem fühle ich mich meist nicht als Architekt. Es gibt so viele Sachen, die man machen muss, wenn man ein Büro leitet: Man arbeitet mit Partnern, die alle andere Fähigkeiten und eine unterschiedliche Motivation haben. Das kompensiert Fähigkeiten, die ich selbst nicht habe, etwa Mathematik. Ich kann diese Leute zusammenbringen, die alles, was ich nicht kann, beherrschen. Das ist eine der aufregendsten Sachen, wenn man ein eigenes Büro hat. Mit dem, was ich alleine kann, würde ich wahrscheinlich kein Architekt sein können. Das Büro ist ein sehr komplizierter Organismus,  der durch vielfache und kumulierte Intelligenz überlebt. Neue Leute bringen neue Mentalitäten und neue Ideen ein. Das ist sehr befriedigend. Jeder, der hier arbeitet, kann sicher sein, dass andere ihm helfen. Dadurch fühlen sich die Leute wohl.

Die Entwürfe von NL-architects sind alle sehr sophisticated und dezent. Hat das vielleicht etwas mit Liebe zu tun?

Die Frage ist, wie viel Zeit man der Lösung der banalen Probleme widmet und wie viel Zeit dann noch für Überlegungen zur Komplexität übrig bleibt. Wie viel Zeit investiert man in perfekte Lösungen und wie viel darin, die Leute davon zu überzeugen, dass etwas mehr an Komplexität ihrem Projekt gut tut. Kann man Jedermann davon überzeugen, „mehr“ zu denken? Wir versuchen das. Es geht immer um diesen architektonischen Mehrwert.

Zur Liebe gehört auch Erotik. Die Oberfläche der Wärmetauschstation WOS 8 besteht aus schwarzem Polyuretan und wirkt auf Sie „sehr sexy“.

Architektur ist normalerweise nicht sexy, weil man immer daran denken muss, wie Dinge zusammenkommen.

Wie beim Sex.

Ja, aber in der Architektur passen die Teile normalerweise nicht so gut zusammen. Da gibt es immer Brüche und Teile, die nicht gut aneinander anschließen, wie Wand und Decke. Bei diesem kleinen WOS 8-Gebäude konnten wir diese Brüche gut unter der schwarzen Haut verstecken. Das versuchen die Leute ja auch mit der Latex-Sexykleidung zu erreichen. Im Idealfall wird das Latex auf den Körper aufgesprüht. Dadurch gibt’s eine unmittelbare Übersetzung des Körpers, der nur ganz schwach verdeckt wird. Das funktioniert, weil Latex sich mit nichts verbindet, außer mit sich selbst. Die Haare muss man natürlich vorher abrasieren, sonst ist’s wahrscheinlich nicht sexy.

Sie kennen sich aus in der Szene.

Wir haben mal ein FAX bekommen von jemandem, der seine Fenster-Prostitution von uns gezeichnet haben wollte. Leider ging es da nur um eine Zulassung und nicht um einen architektonischen Entwurf. In Amsterdam gehört das ja zum Lokalkolorit. Außerdem ist es logistisch sehr gut ausgearbeitet. Meine Studenten haben einmal erforscht, wie’s genau funktioniert. Wo die Tür angeschlagen ist, dass die Tür nicht von außen geöffnet werden kann, wie der Raum eingerichtet und in Funktionsbereiche eingeteilt ist. Es gibt da einige clevere Erfindungen, dazu gehört auch ein raffiniertes Reinigungssystem. In dem Zusammenhang denke ich an den kleinen Entwurf, den wir für ein „Mandarina Duck“-Geschäft gemacht haben. Die kleinen Sachen – Taschen und Accessoires – kann man leicht stehlen. Deshalb wollten die Auftraggeber Glasvitrinen. Wir wollten dem aber eine weitere Ebene hinzufügen. Wir wollten, dass die Kunden die Ware anfassen können. Deshalb haben wir diese Handschuhe eingebaut, wie sie in Laboren üblich sind, mit denen man die Gegenstände hinter Glas berühren kann. Vielleicht würde das auch bei der Fenster-Prostitution funktionieren. Das würde dem etwas hinzufügen. Vielleicht sollten wir das FAX suchen und diesem potentiellen Auftraggeber ein Angebot machen.

Das ist doch mal ein praktische Vorgehensweise.

Unser Büro arbeitet sowieso völlig untheoretisch. Manche Auftraggeber hätten gern mehr Theorie zu ihrem Gebäude. So arbeiten wir aber nicht. Trotzdem kann man sicher bei allen Projekten eine gemeinsame Haltung entdecken.

Das ist sicher diese spielerische Haltung. Gibt’s dafür eine bestimmte Methode?

In einem gewissen Alter entdeckt man die logischen Systeme, die etwa hinter Humor stecken. Lustig ist’s nur, wenn es logisch ist. Kamagurka arbeitet etwa so.  Er veröffentlicht in Deutschland in der „Titanic“. Kamagurka hat mich zu einer gewissen Zeit sehr beeindruckt, vielleicht sogar beeinflusst, spätestens, seit ich sechzehn war. Die Logik hat mich gepackt. Er verquirlt die Wirklichkeit so, dass sie lächerlich wird oder eine neue Sicht auf die Dinge ermöglicht.

Was Sie als Architekt machen, ist aber nicht, witzige Gebäude zu entwerfen, sondern die Lächerlichkeit und die Missverständnisse in liebenswerte Gebäude und Gegenstände umzusetzen.

Da gibt’s die Logik, die man übertreiben kann, wie bei der Vase, die wir entworfen haben. Dahinter steht eine ganz einfache Idee: Drei Vasen, die sich durchdringen. Die meisten Leute tun zu viel Wasser rein, dann läuft’s über, weil die Seiten eben offen sind, je nachdem, wie man sie hinstellt. Diese Vase ist rein logisch konstruiert und dadurch ist sie so witzig. Eigentlich ist sie eine dreidimensionale Witzzeichnung und trotzdem funktioniert sie. Wir benutzen sie hier täglich.

Jetzt habe ich die Verbindung von Kamiel Klaasse und NL-architects zum Thema Liebe entdeckt: Es ist Humor!

Ja, schwarzer Humor. Schwarz ist schön. Schwarz ist trendy. Meistens muss man die Wörter nur wörtlich nehmen und schon entsteht etwas sehr humorvolles. Wie bei den „moving cities“, die in den Siebziger Jahren erfunden wurden. Wir haben einmal versucht, das wörtlich zu nehmen. Das Konzept besteht darin, Flugzeugträger zu Vergnügungsstädten umzubauen. Anlass waren zwei frustrierende Angelegenheiten. Eine davon ist, dass alle Kreuzfahrtschiffe gleich aussehen: weiß, mit einem kleinen Pool auf dem Dach. Das kann ganz hübsch sein, ist aber nicht gerade abwechslungsreich. Die andere frustrierende Sache ist die, dass die Menschen von den Kreuzfahrtschiffen, wenn sie vor Anker gehen, in die Städte strömen und kein Austausch stattfindet. Während sie in der Stadt sind, könnten doch die Leute aus der Stadt an Bord gehen und dort das Vergnügungsangebot wahrnehmen. Das fänden wir schön.

Kamiel Klaasse gründete zusammen mit Pieter Bannenberg und Walter van Dijk 1997 in Amsterdam das Büro NL Architects. Alle studierten an der Universität Delft.

Aus: BUILD 5 (2005), November/Dezember, S. 26-29.