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Ludger Fischer

Das Kastell in Werden an der Ruhr
[1]

Bis vor etwa 160 Jahren gab es in Essen-Werden einen markanten Wehrbau. Die Straßenbezeichnung „Kastellgraben“ weist noch heute darauf hin.

Die Bebauung grenzte bis zum Zweiten Weltkrieg westlich und östlich an diesen ehemaligen Graben an. Heute befindet sich an der Stelle des ehemaligen Kastells ein Parkplatz.

Eine Beschäftigung mit dem ehemaligen Kastell in Werden bringt deshalb mehrere Schwierigkeiten mit sich:

-          Das Kastell selbst wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts Schritt für Schritt abgebrochen, oberirdische Reste existieren nicht mehr.

-          Abbildungen zeigen eine Burganlage, die – zumindest, was den Hauptturm anbelangt – nicht mit den Grundrissen der Bauaufnahmen übereinstimmt.

-          Die Urkundenlage ist schlecht. Aus ihr lassen sich nur stichwortartig Hinweise auf Bauzeit, Bauherren und Bauform ableiten. Auch der Kunsthistoriker Wilhelm Effmann stellte in seinem Aufsatz über die im 19. Jahrhundert zerstörten Baudenkmale Werdens[2] zum Kastell eher Vermutungen an. Erwin Dickhoff bemerkte deshalb 1979 in seinem Buch über die Essener Straßennamen: “Über die Errichtung des Kastells ist nichts Näheres bekannt[3]. Bis heute ist die Forschung nicht wesentlich weiter gekommen.

-          Gut dokumentiert ist immerhin der Abriß.

1. Rechtsgeschichtliche Annäherung
Die Rechtsgeschichte des Werdener Kastells handelt vorwiegend vom schwierigen Verhältnis der Abtei zu ihren jeweiligen Vögten. In vielen Aufsätzen und Abhandlungen ist dieses Verhältnis erörtert worden. Die Meinung der Autoren spielt bei der Gewichtung dieses Verhältnisses eine große Rolle.

Die rechtliche Stellung der Vögte und ihre Einsetzung war über die gesamte Zeit der Abteigeschichte ein Streitpunkt[4]. Die Äbte des Stifts behaupteten, sie allein hätten das Recht zur Einsetzung der Vögte. Die Vögte behaupteten ihrerseits, die Funktion des Vogts über das Stift Werden sei erblich. Beides war wohl nicht wahr, auch wenn es unentwegt wiederholt wurde.

Die während abteilicher Zeit letzte Behauptung zur Stellung der Vögte stellte der Landrichter Müller in seinem unveröffentlichten Werk auf: „Die abteylichen Hofgesessene [also die Konventualen der Abtei, die keineswegs Mönche waren] waren nun zwar aus der Gerichtsbarkeit der Grafen ausgehoben, indessen mußten doch Gerechtigkeit geleistet, und mancherlei weltliche Gegenstände besorgt werden.[5] Das heißt: für die weltliche, also militärische Verteidigung des Klosters waren die Vögte zuständig und mußten dafür auch vom Kloster finanziert werden. Der Vogt war laut Müllerentweder von den Kaisern oder Königen selbst angesetzt, oder von diesen der freyen Wahl der Bischöfe, Aebte etc. überlassen, und also von den Bischöfen, Aebten etc. anfänglich von Zeit zu Zeit willkürlich gewählt, oder späterhin mit dem vogteylichen Amte belehnt“.[6]

Müller führt als letzter Parteilicher der Abtei eine Reihe von Urkunden an, aus denen die freie Wahl des Vogts abgeleitet werden könne. Er beginnt mit einer Urkunde Ludwigs III aus dem Jahr 877 und behauptet zu Heinrich II: “Henrich 2. 1002 bediente sich dabei des Ausdrucks: nach Wohlgefallen des Abtes.“ Die Urkunde ist, wie alle anderen, in denen die freie Vogtwahl behauptet wird, gefälscht.[7] Müller wußte das nicht. Sein Fazit lautete deshalb: „Der Vogt war nichts mehr und nichts weniger als der erste Beamte des Abtes, auf dessen Amt der Sohn keine Ansprüche hatte. Bei der Freyheit der Wahl konnte ein Erbrecht nicht Statt finden, um so weniger, weil der Abt nicht allein in Folge der durch alle Jahrhunderte bestätigten Wahlfreyheit, sondern auch aus besonderer kaiserlichen Begnadigung bemachtet war, berufswidrig handelnde Vögte abzusetzen.“[8] Müller meinte, diese untergeordnete Stellung des Vogts nicht deutlich genug machen zu können: „Die Abtey und das Stift“, schrieb er, „war nicht um des Vogts, sondern der Vogt war um der Abtey und des Stifts willen. Das Stift wurde dem Vogte nicht untergeordnet, sondern es war die Pflicht des Vogtes, überall für die Unabhängigkeit des Stifts zu stehn. Der Abt brachte dem Vogte seine und der Seinigen Freyheit nicht zum Opfer, sondern er nahm den Vogt in seinen Dienst, um seine, und der Seinigen Freyheit zu schützen.[9]

Am Status der abteilichen Landeshoheit wollte Müller also keinen Zweifel lassen. Seine Beteuerungen zeugen aber eher von einem verzweifelten Kampf um deren Anerkennung: „Es ist diesemnach unwidersprechlich erwiesen, daß die Unmittelbarkeit und Landeshoheit, und alle daher entspringende Rechte, Obergewalt über die Personen und Güter, Gesetzgebung, Polizei, Gerichtsbarkeit und Besteurung, mit allen dahin einschlagenden Befugnissen in der Person des Reichsabtes von Werden vereiniget sind.[10]

Diese Klarstellung war trotzdem eher Wunschdenken. Schließlich sah auch Müller ein: „Nichts desto weniger ist es nur zu wahr, daß, in Folge des in allen Menschen liegenden Vergrösserungstriebes, wobei der schwächere zuletzt nothwendig den Kürzeren ziehn muß, viele ursprünglich unmittelbare Reichsstifter durch ihre Vögte sind verschlungen worden. Auch an die Reichsabtei Werden ist die Axt oft angesetzt gewesen, bis dahin war sie aber, einige wichtige Einbussen abgerechnet, glücklich genug, ihre Selbständigkeit zu behaupten [.] Mit festem Vertrauen auf den Schutz des Kaisers und des Reichs, und auf die persönliche Gerechtigkeitsliebe des Königs von Preussen M. hofft dieselbe auch jetzt noch ihre Unabhängigkeit zu retten.[11]

Die Werdener Parteinahme für den Papst und gegen den Kaiser Ludwig von Bayern führte dazu, dass der Kaiser die Vogtei über Werden dem ihm treuen Grafen von Kleve übertrug. Das war am 22. Mai 1317[12]. Damit war der bisherige Vogt, Graf Engelbert von der Mark, seines Amtes enthoben. Gleichwohl schlossen Abt und Engelbert den genannten Vertrag vom 24. Juli 1317 „super fundatione et constructione civitatis Werdensis“. Finger sieht in diesem Vertrag „die Eintracht von Abt und Vogt verbürgt.[13]
Ein halbes Jahr später hielt es der neue Vogt für angebracht, die jeweiligen Kompetenzen zu klären. Am 25. November 1317 schlossen Abt Wilhelm von Werden und der Stiftsvogt Graf Engelbert von der Mark einen weithin bekannten Vertrag, der, wie man bis vor kurzem glaubte, den Bau einer Stadtmauer vorsah. Tatsächlich wird darin die Existenz einer Stadtmauer sowie deren Tore beschrieben[14]. Vom Bau oder der Existenz eines Kastells oder einer Burg ist nicht die Rede. Der Vogt besaß, wie 1372 nochmals bestätigt wurde, die Vogteirechte, das Grafengericht, zwei Mühlen, Haus Fuhr als Lehen des Abtes sowie alle landesherrlichen Rechte[15]. Das heißt nicht, dass er Landesherr war, aber die meisten Rechte eines Landesherrn standen ihm zu. Deshalb war es auch der Vogt, nicht der Abt, der Werden im November 1317 das Stadtrecht verlieh und gleichzeitig einen Amtmann einsetzte
[16].

Das Kastell wurde aber erst wesentlich später gebaut. Es war der militärische Stützpunkt des für die Abtei und später auch die Stadt zuständigen Vogts. Es dokumentierte die Macht des Vogts.
Dem Amtmann des Grafen von der Mark war, so formulierte es Kötzschkedie Obhut des Schlosses an der Ruhr mit seiner Besatzung und die Verwaltung des Amtes Werden anvertraut“ worden[17].
Während von Seiten der Abtei mit Urkundenfälschungen gearbeitet wurde, bediente sich der Vogt einfach seiner militärischen Macht. Mit ihr gelang es den Vögten aus dem Haus Berg letztlich zu behaupten, das begehrte Amt sei erblich.


2. Baugeschichtliche Annäherung
Eine Annäherung an das Baujahr des Kastells ist auch über die Bauform möglich:
Es ist wichtig zu unterscheiden, dass in bezug auf diese Wehranlage fast ausschließlich von einem „Kastell“ die Rede ist, mehrfach auch von einem „Neuen Schloß“ aber nie von einer Burg. Das Werdener Kastell war im Vergleich zu den vielen Burgen auch am Niederrhein etwas Besonderes.

Genau wie diese, war es auf rechteckigem Grundriß erbaut. Eine typische Burg am Niederrhein bestand im 14. Jahrhundert aus einem Burghaus, einem zweiten Flügel, der im rechten Winkel daran ansetzte und einer Mauer, die die Anlage zu einem Rechteck schloß. Dadurch wurde ein Burghof gebildet. Im Idealfall wurden diese Anlagen im Laufe der folgenden Jahrhunderte zu Vierflügelanlagen ausgebaut. Der Idealfall trat aber nur ein, wenn die Burg nicht in einem der vielen Kriege um Herrschaften, Erbe oder Bündnisse zerstört wurde.

In einer Kastellburg sind die Gebäude an der Innenseite des meist viereckig bzw. gleichmäßigen Mauerzuges angeordnet. Die Außenmauern der Gebäude sind dementsprechend stark und nur durch die notwendigsten Maueröffnungen unterbrochen. Meist finden sich auf den Mauern Wehrgänge, die mit der Nutzung von Feuerwaffen zunehmend auch überdacht sind.[18]

Auch wie eine rechteckige Anlage wirkt die Kurkölnische Landesburg Kempen, erbaut 1396-1400. Tatsächlich ist der Burggrundriss dreieckig.

Weniger mächtige Adelige, als ein Landesfürst, durften es sich nicht erlauben, kastellartige Burgen zu bauen. Kastelle zu bauen stand ausschließlich dem Landesherrn zu[19]. Schon daran sieht man, dass diese Funktion in Werden – ob zurecht oder zu unrecht – vom mächtigen Herzog von Cleve ausgeübt wurde, auch wenn der jeweilige Abt anderer Meinung war.

Ähnliche Bauformen haben auch die Landesburgen, Andernach, Zons, und weitere Burgen, wie die Landesburg  Zülpich. Charakteristisch für sie ist der quadratische, jedenfalls rechteckige Gesamtgrundriss, der allerdings durch Häuser hergestellt wird.

Die Häuser der Burg in Lechenich, erbaut 1279 unter Erzbischof Siegfried von Westerburg, haben oder hatten sogar Fenster in den außen liegenden Wänden! Genau wie diese Landesburgen hatte auch das Werdener Kastell einen absolut rechtwinkligen Grundriß.  

Nur mit „Gewalt“ wurde das Rechteck in die Stadtmauer integriert. Man sieht am Grundriß deutlich, dass der Wille im Vordergrund stand, eine regelmäßige Anlage zu bauen. Das Werdener Kastell ist aber trotzdem etwas völlig anderes, als die gezeigten Landesburgen.

Es bestand - im Gegensatz zu den Landesburgen - vor allem aus einer Mauer. Die Mauer umschloß einen rechteckigen Hof. In das Geviert hinein wurden die Funktionsgebäude gestellt: In die Südostecke ein Wehrturm, an die Ostmauer das Haus des Amtmanns. Wahrscheinlich gab es außer den kleineren Einbauten weitere Gebäude in Holzkonstruktion. Die Mauer war – im Gegensatz zu den Außenmauern zahlreicher Wohnburgen – von keinem Fenster durchbrochen. Deshalb war es auch nötig, das Haus des Amtmanns nur an einer kleinen Stelle an die Mauer anschließen zu lassen, damit es rundum belichtet werden konnte. Die Gebäude bildeten also nicht das Kastell, sie standen im Kastell.

Die Mauer trug Eckwarten an der nordwestlichen und an der nordöstlichen Ecke und eine Warte über dem einzigen Tor, das in der Mitte der nördlichen Mauer lag. Daraus läßt sich folgendes ableiten: Das Werdener Kastell war nicht zur Wohnung für den Vogt vorgesehen. Es diente ausschließlich militärischen Zwecken. Somit war es nach heutiger Definition ein reines Kastell im Gegensatz zu einer Burg oder einem Schloß. Das Werdener Kastell war eine „moderne“ Festung, jedenfalls auf dem stilistischen und technischen Stand des frühen 15. Jahrhunderts.


3. Bauzeit des Werdener Kastells
Es ist eine verbreitete Annahme, das Kastell sei im Zuge des Baus der Stadtmauer, also um 1317 gebaut worden. Dabei ist mittlerweile klar, dass die Stadtmauer schon vor 1317 gebaut worden sein muss und die entsprechende Urkunde nur deren Bestand dokumentiert. Hermann Burghard datierte den Bau des Kastells recht vage um 1440[20], Kevin Lynch wollte sich vor kurzem (2001) noch weniger festlegen und datierte es zwischen 1400 und 1450[21].
Man hat gelegentlich sogar angenommen, das Kastell gehe bis auf das frühe 11. Jahrhundert zurück. Frühe Nennungen einer Burg, eines Turms oder eines festen Hauses beziehen sich aber sicher nicht auf das Kastell, um das es hier geht[22].

Eberhard von der Mark zerstörte 1299 „die Burg, welche Sobbo, der Bundesgenosse des Erzbischofs, zu Werden bewohnte.“[23] Möglicherweise wurde dieser Turm aber nicht völlig zerstört, denn auf dem bekannten Stich von Braun + Hogenberg aus dem Jahr 1581 ist noch immer ein massiver Wehrturm zu sehen. Sein Obergeschoss kragt auf einem typischen Rundbogenfries aus. Fenster sind keine zu erkennen. Es handelt sich also eindeutig um eine Wehranlage, vermutlich um genau den Turm des Ritters Sobbo, der noch immer existierte.

Auch die Erwähnung einer Burg in Werden im 13. Jahrhundert wird vielfach auf das spätere Kastell bezogen[24]. Dass ein im 13. Jh. erwähntes festes Haus oder Schloss mit dem Kastell identisch war ist dagegen eher unwahrscheinlich. Wie schon Stephan Leenen richtig einschätzt, war dieses Kastell „ein überdeutliches Zeichen der Macht der Herzöge von Kleve als damalige Vögte gegenüber Abtei und Stadt[25]. Daher wird das Kastell in der Stadtansicht von Braun + Hogenberg auch als „Kastell des erleuchteten Herzogs von Kleve“ ganz klar beschrieben.

In der „Clevischen Chronik“ des Gert van der Schuren, verfasst in der Mitte des 15. Jahrhunderts, wird „dat nyslott to Werdden[26] als eines unter vielen Bauten genannt, die unter Herzog Adolf II. (?) von Cleve (reg. 1394-1448, „der kluge und siegreiche“[27]) gebaut worden waren und zwar vor 1416. Das Baujahr ante quem ergibt sich aus der Abfolge der Beschreibung van Schurens. Damit sind Bauherr und Bauzeit eindeutig geklärt.

Nach dem Aussterben des Hauses Kleve wurde dieses Herzogtum 1391 mit der Grafschaft Mark vereinigt.  Das Gebiet des Stifts Werden „wurde faktisch zum märkischen Nebenquartier[28].
Als es sich der Herzog von Kleve, kurz nach seiner feierlichen Versicherung von 1317 dennoch erlaubte, eine Befestigung in Werden zu bauen, geschah das also höchstwahrscheinlich ohne Zustimmung des Abts, und wenn man ganz spitzfindig sein will, wurde diese Befestigung auch nicht innerhalb der Stadt gebaut, sondern am Rand der Stadt, im bis dahin unbebauten Überflutungsgegebiet der Ruhr. Wohl nicht ohne Grund stand das Kastell genau zur Hälfte innerhalb und außerhalb der Stadt.

Knapp 70 Jahre nach seinem Bau, jedenfalls vor 1484, war schon ein Wiederaufbau nötig. Zu Abt Theodor (Hagedorn, 1478-1484) bemerkt Wilhelm Flügge in seiner Chronik: „Unter seiner Regierung begann Johann II. von Cleve etc. das zerstörte Kastell an der Ruhr wieder aufzubauen.“[29] Die Kompetenzen waren also klar: Während der Regierung des Abts baut der Vogt, bzw. läßt natürlich bauen.

Die Größe des Kastells dürfte von seiner Errichtung bis zu seinem Abriß gleich geblieben sein. Nur seine äußere Form entspricht – wie gesagt  – der vieler landesherrlicher Burgenneubauten im 14. Jahrhundert im Rheinland. Im Inneren blieb es weitgehend leer.

1536
Viele urkundliche Hinweise lassen sich nicht eindeutig dem Kastell zuordnen. In den Akten von Kleve-Mark findet sich 1536 der Hinweis, dass ein „Torn to Werden“ gedeckt worden sei[30]. Leider läßt sich nicht eindeutig sagen, ob es sich bei diesem Turm um den Bergfried des Kastells handelte oder um einen anderen Turm, etwa an Haus Fuhr oder den bereits erwähnten Turm des Ritters Sobbo, der als Bundesgenosse des Kölner Erzbischofs bezeichnet wurde.

1581
Im Städtebuch von Braun + Hogenberg ist aber eindeutig zu lesen: „Beyde Gestad der Ruhr / seyn allda mit einer Steinern Brücken vereiniget, vnd hat der Landsfürst daselbst auch ein Schloß.[31] Der Vogt wurde also ausdrücklich als Landesherr anerkannt, auch wenn der tatsächliche Landesherr der Abt war.

1646-1651

Aufschlussreich für die rechtliche Stellung und die Bauform sind die „Gesammelten Schriftstücke in Bezug auf die Vogtei über Werden Vol VII“ über das „brandenburgische Schloss zu Werden“ (23. Oktober 1649) und die vom Abt beantragte „Niederreißung des Schlosses Werden“ im Dezember 1651[32].

1649 ist das Kastell für zwanzig Jahre mit dem Gericht an den Abt verpfändet. Der Abt stellt genau in dieser Zeit konsequent den Antrag, das Kastell abzureißen. Ein im Auftrag des Vogts arbeitender Gutachter aber beschreibt das Kastell oder „Schloss ahn dem Ruhrstrom gelegen, auch vest undt mit vier starken End von ungefehr 16 Schue fuess dicken Maueren versehen undt umgeben“. Er hält es für notwendig, dieses Schloss zum Schutz des Ruhrübergangs und zum Aufenthalt der fürstlichen Beamten in Kriegszeiten zu erhalten und empfiehlt seinem Landesherrn in „Unterthenigst gehorsambster“ Manier, den Antrag des Abts abzulehnen.

Das Interesse des Abts an einem Abriß des Kastells hatte seine Ursache nicht allein in der Machtdemonstration des Schutzvogts, sondern auch in der Tatsache, daß die Abtei für das Kastell abgabepflichtig war. Eine Liste der Einkünfte des Vogts vom 5. Juli 1771 benennt die in Geld oder Naturalien zu leistenden Abgaben und läßt auch die Nutzung erkennen: „Ersterer gehöret hierzu das Castel oder Schlos zu Werden selbst in welchem eine Wohnung und ein Garten inwendig ist, welches aber nicht anzuschlagen sondern als frei zur Wohnung des Renthmeisters zu rechnen seyn wird.[33]

Sind der eingeseßenen schuldig und gehalten täglichs zum Casteel oder Schloß eine Karre Holtz zu liefern, welche [...] mit Geld bezahlet wird, und werden die Eingesezten jahrlichs, wenn sie von der Lieferung frey gelassen werden gern 150 L dafür zahlen auch würklich einbringen, welche also hierfür alß gewiße Revenuen ...[betrachtet werden müssen?].[34]

Zur Versorgung des Kastells gehörte diesem auch ein rechts der Ruhr gelegenes Waldstück.[35]

Die Abgaben werden 1771 beschrieben und wurden offensichtlich schon lange gezahlt:
Hat die Abtey von wegen Unterhaltung des Casteels oder Schloßes zu Werden so zur Rentey gehöret [...] Einsetzung zu bezahlen zur Last gelegen und das solche Unterhaltung ante traditionem Jurisdictione et Domaniatum laut Renthey Rechnungen aus den Renthey Revenuen zustehen müßte ein Durchschnitt gerechnet jährlichs ohngefehr von derselben genommen 150.[36] Zu diesen Akten im Staatsarchiv Düsseldorf gehört eine Karte aus dem Jahr 1646[37].

4. Baubeschreibung anhand von Abbildungen
Robert Jahn, ehemaliger Essener Stadtarchivar, schrieb 1957: „Die Burg zu Werden, ein Kastell am Ufer des Flusses mit dem Hauptturm im Mittelpunkt und den drei trotzig aufragenden Ecktürmen, hatte der Vogt inne, und ebenso blieb er im erblichen Besitz des Gerichtes.“[38] Dazu muss korrigiert werden:

-          Der Hauptturm stand nicht im Mittelpunkt der Anlage,

-          bei den „drei trotzig aufragenden Ecktürmen“ handelte es sich lediglich um kleine Eckwarten und

-          den erblichen Besitz des Vogteirechts hatten sich die Grafen von der Mark erschlichen.

Genauer und anhand der vorhandenen Katasterplänen und Abbildungen hatte Flügge schon 1886 das Kastell beschrieben. Grundriß war ein Rechteck von 31 x 45m, Gesamtfläche inklusive Graben 40 x 49m. Die umlaufende Mauer aus Sandstein war laut Augenzeugen angeblich 4m stark, was bei dieser Größe des Kastells unwahrscheinlich ist und einzigartig gewesen wäre. Nur Bergfriede und Schildmauern wiesen so eine Mauerstärke auf. Für eine umlaufende Wehrmauer wäre 2 m Mauerstärke eher wahrscheinlich, selbst wenn auf ihr ein umlaufender Wehrgang verlief.

Ein überdachter Wehrgang lag nämlich hinter der systematischen Reihe von Scharten bzw. Zinnen. Zwei steinerne Eckwarten sicherten die Ecken der Zugangsseite, eine eckige an der Nordwestecke, eine runde an der Nordostecke. Über dem Zugang in der Mitte der Nordseite  befand sich ebenfalls ein Wachhäuschen. Dass an der Ruhrseite ein weiteres, ungesichertes kleines Tor die umlaufende Mauer durchbrochen haben soll[39], ist unwahrscheinlich.

Der Bergfried hatte einen rechteckigen, möglicherweise quadratischen Grundriss, war dreigeschossig und stand in die Südostecke des Gevierts. Sein Erdgeschoss war gewölbt, der Zugang nur über eine Luke möglich[40]. Über einem sogenannten Saalgeschoss befand sich ein auskragendes Wehrgeschoss, darüber ein hohes Walmdach.[41] Da es sich nicht um einen Wohnturm gehandelt hat, sondern um eine rein militärische Anlage, ist der Begriff Saalgeschoss vielleicht etwas hoch gegriffen. Der Bergfried war mit einem hohen Walmdach mit Laterne gedeckt.

Die in den Katasterplänen eingezeichneten kleineren Gebäude identifizierte Flügge als Küche, Badehaus, Backhaus und Brauhaus. Das Gebäude in der Nordostecke der Umfassungsmauer wurde im 19. Jahrhundert als „Gerichtshaus“ bezeichnet. Westlich grenzt ans Kastell der Leinpfad an, an den anderen drei Seiten ein Graben der möglicherweise vom Bornbach, sicher aber vom Mühlenbach mit Wasser gefüllt wurde[42].

Die Größe des Werdener Kastells ließ nur eine kleine Besatzung zu. Trotzdem war man durch die völlig fensterlose Anlage einem Angriff feindlicher Truppen gewachsen. Die bauliche Ausstattung bot in ihrer Bauzeit einen angemessenen Schutz.


5. Der Abbruch des Kastells
Das Kastell in Werden war ein mittelalterlicher Wehrbau, dessen Abriss fast einhellig begrüßt wurde. Er wurde in seiner Geschichte

-          zum Symbol für die landesherrliche Ohnmacht der Reichsabtei,

-          zum Symbol für die Stärke des Schutzvogts und

-          zum Symbol für die Ohnmacht der Denkmalpflege.

1803, etwa zur Zeit, als dieses Aquarell entstand, kam das Kastell in den Besitz der Stadt Werden. Sein Wert wurde lediglich in der Ausbeutung als Baumaterial gesehen. 1816 errechnete man dafür 2391 Taler[43]. Dazu ein Zitat aus Dickhoffs Straßenbeschreibungen:

Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Kastell vermietet und verpachtet. Es diente teilweise Wohnzwecken, wurde 1817 auch als Lazarett gebraucht, beherbergte die Königliche Salz-Factorei und ein Arbeits-Institut in Wollen- und Baumwollen-Fabrikaten für die ärmere Klasse und namentlich auch für Waisenkinder.[44] Dabei ist es nicht ganz unwichtig auf die Grammatik zu achten: Obwohl von einem Arbeits-Institut „für die ärmere Klasse und namentlich auch für Waisenkinder“ die Rede ist, bedeutet das natürlich, dass dort nicht für, sondern von der „ärmeren Klasse“ gearbeitet wurde. Es gibt hier also eine deutliche Parallele zur Nutzung der ehemaligen Abteigebäude, in der 1811 unter französischer Besatzung eine sogenannte „Besserungsanstalt“ für Nichtseßhafte eingerichtet wurde, die dort Tuche fabrizieren mußten. Die Ursprünge der Werdener Tuchfabrikation, sofern sie im industriellen Stil betrieben wurde, ist in diesen beiden Arbeitsanstalten gelegt worden.

Ein Teil des inneren Hofes“, schreibt Dickhoff weiter, „diente als Kohlenmagazin. Der sog. Kastellgraben war an verschiedene Interessenten verpachtet. Im Jahre 1830 wurde das Kastell in mehreren Losen in Erbpacht gegeben. In den folgenden Jahren wechselten die Eigentümer mehrfach. Das Kastell verfiel immer mehr. Der Hauptturm wurde um 1848 abgebrochen.“[45]

Im Zuge der Aufteilung kam 1832/33 der nördliche Teil des Kastells in den Besitz der Unternehmer Bernhard und Matthias Wiese. Dessen Tuchfabrikation läßt vermuten, dass die Firma aus der ehemaligen Arbeitsanstalt hervorging, wie ja auch die Firma Huffmann aus der Arbeitsanstalt in den ehemaligen Abteigebäuden hervorgegangen ist. Wohnhaus und Umfassungsmauer wurden abgerissen, die zur Ruhr gelegenen Fundamente der Umfassungsmauer offensichtlich zum Neubau eines Fabrikgebäudes wiederverwendet.

1847
Über den Abriss des verbliebenen Rests des Kastells, den Bergfried und Teile der Umfassungsmauer, ist im Stadtarchiv Essen ein umfangreicher Schriftwechsel erhalten.

An ihre Königl. Hochlöbliche Regierung“ schrieb Bürgermeister Märker über
“Die Erhaltung des hiesigen Kastells

Abteilung des Innern

Verf vom 12. März 1847

               30. März 1847

In Befolgung der hohen Verfügung vom 12ten vorigen Monats habe ich die Herren Fabrikbesitzer Gebrüder Wiese eingeladen [die Formulierung ist sehr interessant], den Thurm und die Reste der Umfassungsmauer des hiesigen Kastells nicht abzureißen, sondern stehen zu lassen. Die darauf erhaltene Antwort vom 17. -- , lege ich ganz gehörigst in Abschrift vor. Auf – dies hohen Reb – vom 30. desselben Monats [Es] sind dem städtischen Gemeinderath die Mitglieder Verhandlungen über die fragliche Angelegenheit vorgelegt und ihre Erklärung ist darüber eingefordert worden, ob [man] zur Erhaltung der Reste des Thurms und der Umfassungsmauer die nöthigen Mittel aus Kommunalfonds hergeben wolle. Die gemeinderäthliche Äußerung darüber vom 13. dieses [Monats] überreiche ich ebenfalls in beglaubigter Abschrift gehorsamst. Aus den angeführten Anlagen wird Euer Königliche Hochlöbliche Regierung hochgefällig entnehmen, daß die Gebrüder Wiese so wenig als der Gemeinderath den Anforderungen -- . Was das Kastell – anbelangt, so gestatte ich mir die ehrerbietige Bemerkung, daß dasselbe – früher mit einem Flächeninhalt von 1 Morgen 36 Ruthen bildete in dem ein Haus stand und mit Gräben umgeben war, die einen Flächenraum von 33 Ruthen 20 Fuß enthielten. Derselbe hatte einen großen und 4 kleine Thürme und nur mit Umfassungsmauern versehen. Gebaut ist es im 13ten Jahrhundert als die Stadt mit Mauern umgeben wurde. [Das ist, wie mittlerweile bekannt ist, falsch.]
Der große Thurm diente zur Aufbewahrung von –[Gütern?] des Landes und das in dem [Kastell] befindliche Haus zur Wohnung des Kommandanten. Das platte Land des vormaligen Stiftes Werden bestritt größtentheils die Unterhaltungskosten und auch die Städte Werden und Kettwig nur eine Kleinigkeit dazu beitragen. Ursprünglich ist das Kastell zur Sicherheit der Stadt erbaut worden. Durch die Länge der Zeit und weil es keinen Zweck mehr hatte, verfiel es [in jeder?] Hinsicht und blieb nur noch eine bedrückende Last für die Gemeinde des ehemaligen Stiftes, dessen Eigenthum es war, dem Umstand. In dem Antrag auf den Verkauf oder die Vererbpachtung desselben begründet es -[46]
Gemeint ist natürlich nicht, dass es Eigentum des Stifts, sondern Eigentum der Stadtgemeinde Werden war. In den ehemaligen Stiftsgebäuden befand sich zu dieser Zeit schon längst die Strafanstalt, die wohl nicht ganz zufällig 1845-54 mit zwei Flügelbauten im Burgenstil ergänzt wurde[47].

Der verstorbene Landrath von Bug--  drang namentlich darauf in einer Verfügung vom 24. July 1824 – daß das Kastell nützlicher und zur Verschönerung durch Gebäude umgewandelt werden könne. Vermittelst hoher Verfügung – Königl. Hochlöblicher Regierung vom 27. August 1830 I/II No 5707 erfolgte die Genehmigung der Vererbpachtung von drei Parzellen an die Gutsbesitzer Neustein und Eigen unter m 15. November i/II No 7624 die Vererbpachtung  -- Parzelle an den Postexpediteur Anger und unterm 18. Februar 1833 die Genehmigung zur Übertragung von zwei Parzellen, welche Herrn Stein und Eigen – erbpachtet hatte, an die Gebrüder Wiese und an den Kaufmann – Scholten. Das – Parzell nämlich das, auf dem der Thurm steht. Johann Eigen und Neustein an den Fabrikbesitzer Niemann zu Horst vererbpachtet und von diesem haben es die Gebrüder Wiese wieder erworben waren aber amtlich nicht
[Eigentümer?] --.
Die Übernahme dieser Vererbpachtung haben die jetzigen Besitzer in ihrer – Eingaben  -- nicht.

In Gefolge seiner Weisung wurden die Erbpachtverhandlungen eingeleitet und im Jahre 1830 zum Abschuß gebracht.

[Der weitere Text ist durchgestrichen]

Unterschrift[48]

Zur Zeit der intensiven Industrialisierung reichten die vorhandenen Gebäude nicht mehr für die expandierende Tuchfabrik Wiese.
Gegen den geplanten Abriss der Reste des Kastells, scheint es auf lokaler Ebene dann auch wenig, auf nationaler Ebene keine Bedenken gegeben zu haben. Lediglich die Düsseldorfer Regierung, Abteilung des Innern, äußerte mit dem schwachen Argument, der König sehe sehr ungern die Zerstörung von Denkmalen, den Wunsch, den offensichtlich schon begonnenen Abbruch einzustellen.

Nach einer Anzeige des Landbauinspectors Oppermann beabsichtigen die Gebrüder Wiese daselbst den Thurm und die Reste der Umfassungsmauern des dortigen Kastells zur Erweiterung ihrer Fabrikanlagen abzubrechen. Die Erhaltung dieser interessanten Reste des Alterthums ist schon im Allgemeinen wünschenswerth, und wir legen darauf um so mehr Gewicht, als bekanntlich des Königs Majestät sehr ungern jede, nicht genehmigte Veränderung solcher Denkmäler oder gar deren Zerstörung bemerkt. Euer Wohlgeboren wollen dies den Gebrüdern Wiese in unserm Namen eröffnen, und sie zur Erhaltung dieser Gegenstände zu vermögen suchen. Sollte dies wider Erwarten nicht gelingen, so wollen Sie wenigstens bewirken, daß sie bis zur erfolgten nähern Eröffnung des Königlichen hohen Ministerii der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten, an welches wir darüber berichtet haben, den Abbruch einstellen, da sich dann vielleicht ein Mittel finden wird, die Sache auf eine befriedigende Weise zu ordnen. Wir veranlassen Sie, die Erwiederung der Fabrikanten Wiese uns thunlich bald einzusenden, und sich zugleich über das Geschichtliche dieses Monuments, so wie über den Hergang der verschiedenen Veräußerungen desselben und die dabei zum Grunde gelegten Bedingungen näher zu äußern.
Düsseldorf, den 12. März 1847, Königliche Regierung, Abteilung des Innern, Sarbander. An Herrn Bürgermeister Märker, Wohlgeboren in Werden.
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[Randbemerkung:] B.;. unter Bitte gefälliger Rückgabe den Herren Fabrikbesitzern Gebrüder Wiese wohlgeboren zur gefälligen Erklärung zugestellt. Werden, den 18. März 1847. Der Bürgermeister Märker
[49]

Als sich jedoch einen Monat später herausstellte, dass der König wegen der Erhaltung des Turms zur Zahlung  einer Entschädigung verpflichtet werden könnte, erhielt die Düsseldorfer Regierung von der obersten staatlichen Denkmalbehörde die Weisung, den Abbruch zu genehmigen:

Unter den in dem Berichte der Königl. Regierung vom 27. v. Mts.  dargelegten Verhältnissen, den Abbruch des Thurms des sogenannten Kastells zu Werden betreffend und da diese Angelegenheit nicht geeignet erscheint, um die Gewährung der Mittel, welche zur Entschädigung für die etwaige Erhaltung des Thurms erforderlich sein würde, aus allgemeinen Staatsfonds von des Königs Majestät zu erbitten, kann das Ministerium dem intendirten Abbruch kein weiteres Hinderniß entgegen setzen. Das Ministerium giebt hiernach der Kgl. Regierung, unter Rücksendung der Anlagen des Berichts vom 27. v. Mts. das Weitere anheim.
Berlin, den 19. Mai 1847. Ministerium der geistlichen pp. Angelegenheiten gez. Ladenberg. An die Königl. Regierung in Dühseldorf

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Abschrift unter Rückgabe des eingereichten Erbpachtsvertrages dem Herrn Bürgermeister Märcker Wohlgeboren zu Werden zur Nachricht auf den Bericht vom 20. v. Mts. und Benachrichtigung der Fabrikbesitzer Gebrüder Wiese daselbst. Düsseldorf den 29. Mai 1847, Königliche Regierung, Abteilung des Innern, Unterschrift.
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Gebr. Wiese benachrichtigt 4/6 1847, Handzeichen.[50]

Die Brüder Wiese dürften sehr zufrieden mit dieser Abbruchgenehmigung gewesen sein. Was sie bauten, war aber keine Erweiterung der Fabrik, sondern ihr privates Wohnhaus[51].

Bürgermeister Märker leitete die Abbruchgenehmigung an die Brüder Wiese weiter.

Im August desselben Jahres 1847 lösten sie für 3156 Taler die auf dem Kastell lastende, teilweise noch vom Fabrikanten Niemann aus Horst gehaltene Erbpacht ab, woran besonders die Stadt Kettwig interessiert war, die ihren Anteil am Erlös zur Schuldentilgung verwenden wollte.[52]

Es bestand allerdings eine enge Verbindung der Brüder Wiese mit der Stadt Werden, da wenigstens einer von ihnen, Bernhard Wiese, dem Magistrat der Stadt Werden angehörte und als solcher auch wenig später, 1853, keinerlei Befangenheit geltend machte, als er mitverantwortlich für einen in seinem Interesse durchgeführten Grundstückstausch mit der Stadt Werden unterzeichnete.[53] Der Grundstückstausch erlaubte es, den Weg von der Ruhr zur Bungertstraße auf die Breite eines Pferdekarrens zu verbreitern.
(Dieses Foto zeigt das Fabrikgebäude 1910, als es schon als „ehemalige Fabrik Wiese“ bezeichnet wurde und fogende Nutzung hatte: s.o.)

Das die Bungertstraße herunterfließende Wasser wurde, soweit es nicht vom Zuchthauskanal aufgefangen wurde, in den ehemaligen Kastellgraben geleitet. Die offene Wasserführung führte offensichtlich gelegentlich zu einem Rückstau und  Überschwemmungen. Der Bürgermeister forderte die Fabrikbesitzer Wiese auf, auf eigene Kosten einen Kanal zum Abfluss dieses Wassers zu bauen.[54] Im Juli 1860 wurde deshalb an der Mauer des Fabrikgeländes entlang ein gedeckter Kanal angelegt[55].
Die Firma Wiese gedieh und mit ihr gedieh die Stadt Werden. Während in seinem Interesse das mittelalterliche Kastell abgebrochen worden war, kaufte der Fabrikant Matthias Wiese 1865 die von Bergwerksdirektor Friedrich Joachim Bruns zehn Jahre zuvor auf dem Korintenberg gebaute Villa im Burgenstil am anderen Ruhrufer[56]. In heutiger psychologischer Sichtweise könnte man darin eine Art Kompensation für den von Wiese selbst betriebenen Abbruch der echten mittelalterlichen Burg vermuten.

Zusammenfassung
1526 hatte das Kastell einen Ausbauzustand erreicht, der seiner Form bis zum Abbruch entspricht. Diese Kartenskizze ist bisher der einzige bildlicher Beleg dieser Zeit. Im Dreißigjährigen Krieg wurde es von wechselnden Truppen besetzt. Die Anlage verfiel dabei so stark, dass sie 1642 abgerissen werden sollte. Tatsächlich wurde sie nicht abgerissen (Kartenskizze 1646). Bekannt sind die zahlreichen Abbildungen der Stadt Werden aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert mit Ansichten vom Ruhrufer aus, auf denen das Kastell einen prominenten Platz einnimmt. Der Turm erscheint, wie auch hier, verglichen mit den verläßlichen Aufmaßen, immer zu mächtig.

Erst 1842 begann nach jahrzehntelanger Verwahrlosung der Abbruch im Interesse der Tuchfabrikanten Wiese. Die auf Teilen der Grundmauern aufgebaute Fabrik wurde ihrerseits 1945 nach Kriegszerstörung abgebrochen.

Es gibt eine deutliche Parallele des Kastells mit den Strafanstaltsgebäuden: Genau in den Jahren, in denen das seit Jahrhunderten als Machtdemonstration der Vögte empfundene Kastell abgebrochen wurde, entstanden im Burgenstil die Ergänzungsbauten der Strafanstalt. Sie waren ihrerseits eine deutliche Machtdemonstration des neuen Landesherrn Preußen. Als sich 1964 und 1982 die Gelegenheit bot, auch diese unliebsamen Zeugnisse zu beseitigen, zögerte man nicht.[57]

Das über Jahrhunderte dicht bebaute Grundstück, auf dem das Kastell stand, dient heute als Parkplatz. Das Entré nach Werden wurde über Jahrhunderte von dominanten Bauwerken markiert, zuerst von der Abteikirche, dann, nach Erstarken der Vögte, vom Kastell, im 19. Jahrhundert von Industriebauten mit damals prestigeträchtigen Schornsteinen. Heute dagegen gibt es an dieser Stelle kein markantes Bauwerk mehr. Das Entré zur Wohnstadt Werden wird heute durch eine Leuchtschrift kenntlich gemacht. Und das ist vielleicht nicht das schlechteste demokratische Symbol.

Aus: Geschichten aus der Werdener Geschichte 5, Essen 2007, S. 180-210.


[1] Seit 1929 eingemeindet zur Stadt Essen.

[2] Wilhelm Effmann: Die im 19. Jahrhundert zerstörten Baudenkmale Werdens, in: Beiträge H. 4, Werden 18??

[3] Erwin Dickhoff, Essener Straßen. Stadtgeschichte im Spiegel der Straßennamen, Essen 1979, S. 151. Nach Schilderung des Vertrags von 1317 über die Aufteilung der Vogteirechte.

[4] Heinz Finger: Das Kloster und die Vögte. Die „Schutzherren“ von Werden, in: Jan Gerchow (Hrsg.): Ausst.-Kat. Kloster Welt Werden 799-1803. Das Jahrtausend der Mönche, Essen 1999, S. 99-105.

[5] P.F. Müller: Stift Werden. Seine Geschichte und Verfassung , Werden o.J. [Das Buch selbst ist wohl während des Drucks beschlagnahmt worden und daher nur in wenigen Exemplaren erhalten, Vgl. dazu Franz Josef Bendel, Ueber die Schicksale des Müller’schen Werkes, behandelnd die Geschichte von Werden, in: Beiträge zur Geschichte des Stifts Werden, H. 12, Werden 1907, S. 13-17.

[6] MÜLLER o.J. [1797], S. 65. 

[7] MÜLLER o.J. [1797], S. 66-67, Anm. 5: „Schon Ludwig 3. überließ oder bestätigte vielmehr 877 dem Abte die freye Wahl des Vogtes. Coram advocato, quem Abbas constituerit. [Zumindest dieser Teil der Urkunde ist wohl gefälscht, vgl. unten.] Das nämliche that Arnulph 888 [die Urkunde ist eindeutig gefälscht, s.u.], und 890 bestätigte Pabst Stephan diese von den Kaisern verliehene Wahlfreiheit. Heinrich I. 931 ebenfalls, per advocatos, quos Abbas elegerit.“ Die Interessenslage des Landrichters Müller wird klar.

[8] MÜLLER o.J. [1797], S. 67-68.

[9] MÜLLER o.J. [1797], S. 71.

[10] Müller o.J. [1797], S. 305.

[11] MÜLLER o.J. [1797], S. 75

[12] Vgl. Heinz Finger: Das Kloster und die Vögte. Die „Schutzherren“ von Werden, in: Jan Gerchow (Hrsg.): Ausst.-Kat. Kloster Welt Werden 799-1803. Das Jahrtausend der Mönche, Essen 1999, S. 99-105.

[13] Finger 1999, S. 103.

[14] Kevin Lynch: Stadtarchäologie in Essen-Werden, = Angemerkt. Thesen, Skizzen und Zwischenberichte zur Baugeschichte und Denkmalpflege. Beiträge zur Baugeschichte und Denkmalpflege aus dem Lehr- und Forschungsbereich « Denkmalpflege » am Fachbereich Architektur der FH Köln, hrsg. v. Jürgen Eberhardt und Norbert Schöndeling,  H. 5, 2001.

[15] Jahn 1957, S. 160; Lacomblet UB 3, Nr. 731.

[16] NW HStA Düsseldorf, Urkunden Werden 302, Nr. 129. Zur Frage, wer in Werden tatsächlich Landesherr war, vgl. auch Beiträge Werden I; Kötzschke Anfänge S. 49 f. und Rudolf Kötzschke: Das Gericht Werden im späteren Mittelalter und die Ausübung der Landesgewalt im Stiftsgebiet, in: Beiträge 10, 1904, S. 7-126: Erst 877 sei den Stiftsmitgliedern Immunität verliehen worden (S. 80), ohne dass das Stift selbst dadurch aus der Gesellschaft herausgelöst worden wäre. Die entsprechende Urkunde vom 22. Mai 877 weist im übrigen ausgerechnet an der Stelle eine Rasur auf, an der beschrieben wird, dass die Einsetzung des Vogts dem Ab obliegen soll. Immunität bedeutete laut Kötzschke lediglich, dass Stiftsmitglieder nicht direkt angeklagt werden können, sondern nur nach vorheriger Rücksprache mit dem Vogt. Die Rechtsstellung gilt heute noch für Abgeordnete, ohne dass diese außerhalb jeder Gerichtsbarkeit stünden.

[17] Rudolf Kötzschke: Die Anfänge der Stadt Werden, in: Beiträge 10, 1904, S. 3-69, Zit. S. 45.

[18] http://de.wikipedia.org/wiki/Kastellburg

[19] Vgl. Harald Herzog: Viereckburgen im Rheinland, in: Burgen und Schlösser in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland, Forschungen zu Burgen und Schlössern 8 (Hrsg.: Wartburg-Gesellschaft zur Erforschung von Burgen und Schlössern, Eisenach), München/Berlin 2004, S. 163-176.

[20] Hermann Burghard: Stadt und Kloster. Die Abteistädte Werden und Helmstedt, in: Jan Gerchow (Hrsg.): Ausst.-Kat. Kloster Welt Werden 799-1803. Das Jahrtausend der Mönche, Essen 1999, S. 119-126, S. 123: „... sah sich die Stadt seit etwa 1440 zwischen dem Kloster und dem an der Ruhr errichteten Kastell des nunmehr klevischen Vogts in die Zange genommen.

[21] Lynch 2001, S. 17.

[22] Flügge 1886, S. 311: „Auch geschieht seiner schon im 13. Jahrhundert mehrfach Erwähnung.“

[23] Müller o.J. [1797], S. 87.

[24] U.a. von Dickhoff 1979, S. 151.

[25] Stephan Leenen: Das Kastell oder die Neue Burg des Vogts, in: Detlev Hopp: Unter unseren Füßen. Ein archäologischer Streifzug durch Werden, Essen 2005,  S. 36.

[26] Clevische Chronik nach der Originalhandschrift des Gert van der Schuren [...] herausgegeben von Robert Scholten, Cleve 1884, Zit. S. 137.

[27] Etwas verwirrend ist die Zählung der Herzöge von Kleve: „Adolf IV. von Kleve-Mark, auch als Adolf I., Herzog von Kleve, bezeichnet, (* 1373; † 1448) war der erste Herzog von Kleve und Graf von der Mark.

1394 war Adolf Graf von Kleve geworden. Als 1398 sein Bruder Dietrich, Graf der Mark, gestorben war, vereinigte Adolf die beiden Grafschaften unter seiner Herrschaft. In den folgenden Jahren dehnte er sein Herrschaftsgebiet aus und steigerte seinen politischer Einfluss, vor allem durch die Heirat mit Maria, der Tochter Johanns von Burgund. Gekrönt wurde seine Bemühung dadurch, dass König Sigismund 1417 Kleve zum Herzogtum erhob.“ http://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_IV._Kleve-Mark

[28] Finger 1999, S. 104.

[29] Wilhelm Flügge: Chronik der Stadt Werden. Von der Gründung bis zur Gegenwart, Düsseldorf 1886, S. 20.

[30] NW HStA Düsseldorf, Kleve-Mark Akten, Nr. 2670, S. 97.

[31] Zit.n. Robert Jahn, Essener Geschichte, Essen 1957, S. 202, dort ohne Quellenangabe.

[32] NW HStA Düsseldorf, Kleve-Mark Akten, Nr. 2677, S. 317-321: „Durchlauchtigster Churfürst, Churfstl. H. Sein unsere unterthenigst gehorsambste Dienste in pflichtschuldigen treuen, jederzeit – be –
Gnedigster Herr zugehorsambster infolge Churfl. H. Den 9. dieses ahn vns gelangten gnedigsten befehls umb schriftlichen unterthenigsten bericht undt guetachten, wegen der von dem H. Abtes des Stifts Werden gesuchter Niederreissungh des Schlosses Werden und abfuhrung der darauf gelegter besatzungh. Sollen wir in unterthenigst pflichtschuldigstem gehoramb hiermit berichten was gestalt besagtes hauss oder Schloss ahn dem Ruhrstrom gelegen, auch vest undt mit vier starken End von ungefehr 16 Schue fuess dicken Maueren versehen undt umgeben seijn. Wodurch dan der pass undt übergank über bemeltem Ruhrstrom nicht allein füglich undt woll beij vörfallenden Krieges begebenheiten verthetiget das Ambt und Stifft Werden sambt dessen Unterthanen dahin ihre Zufluch nehmen, beij marchirungh ein vnd andere Regiment gegen uberfäll geschützet undt derselben gueter auf bes[agtes] Hauss im fall der nöht/ weilh sonsten die Stadt undt Abteij keine Wehr haben, anderen heuser undt dass naechst gelegene furst. Churfl. Ambtshauss Blankenstein weit entlegen und gute Verschehrungh vnd Verwahrsamb gebracht auch gegen dass bergische Landt und Vorwarht gehalten werden kan. So konnen S. Churfl. H. Beambte undt Bediente, beij künftiger wieder einlösungh des Ambts Werden sich dieses Hauses desto sicherer beij kunftigen verenderlichen Zeiten undt der geistlichen Praelaten, Zu dero dienst undt bewahrungh dero Reuthen vndt gefälle bedienung, Wie dan beij vorigen Zeiten jederzeit durch diess Hauss undt dessen besatzungh, was die vorige Aebte S. Churfl. H. in dero gebürende hoch:lber undt berechtsambhkeith eingereichten undt sich deroselben botmäsigkeit entglichen wollen, undt sonst andere gefährliche hendell vorgehabth, desto besser zum schuldigstem gehorsamb undt in guter ordtnungh gehalten werden könen. Also dass wir unmassgeblich unsers gehorsambsten orths davon halten, dass auss vorahngezogenen vnd anderen Vertach S. Churfl. H. dem Hern Abt sein Suchen, der vorahngeregten niederreissungh des ganzen gefueglich abzuschlagen, aber hernechst, wen dess Friedens gesichert zu seiner Zeith mit abführungh der besatzungh woll zuwilfahren hetten. Womit S. Churfll H. Wir zu allem hohen Churfürstlichem wolstandt und glücklicher Regierungh Höchlicher obacht freundlichst empfohlen. Kleve ahm 11te Decembris 1651, S. Churfl. H. Unterthenigst gehorsambster [Unterschrift].“

[33] NW HStA Düsseldorf, Kleve-Mark Akten 2713, S. 90, Nr. 12.

[34] NW HStA Düsseldorf, Kleve-Mark Akten 2713, S. 91, Nr. 13.

[35] NW HStA Düsseldorf, Kleve-Mark Akten 2713, S. 91, Nr. 14: „Nächsten soll noch ein großer Busch zum Casteel gehören, welchen man abteylicher seiths anjetzo [ ...] , und Kirchenbusch genannt wird, so herunter rechts der Ruhr unter dem Schlos hinlieget.“

[36] NW HStA Düsseldorf, Kleve-Mark Akten 2713, S. 20, Nr. 1.

[37] NW HStA Düsseldorf, Karte Nr. 1526 (ehem. II, 99) aus Kleve-Mark, Akten Nr. 2677, S. 332.

[38] Jahn 1957, S. 91.

[39] So Leenen 2005, S. 26 und S. 37.

[40] NW HStA Düsseldorf, Kleve-Mark Akten 2670 fol 61r. Frdl. Hinweis von Dr. Stefan Leenen.

[41] Wilhelm Flügge: Chronik der Stadt Werden. Von der Gründung bis zur Gegenwart, Werden 1886, S. 310-313, vermutlich anhand der oben genannen Quelle.

[42] Vgl. Katasterkarte von 1820, ergänzt bis 1848.

[43] Stadtarchiv Essen, Rep. 110, IX 3, fol. 3r/v.

[44] Dickhoff 1979, S.151.

[45] Dickhoff 1979, S.151.

[46] Stadtarchiv Essen, Rep. 110, IX, Nr. 3, S. 116-119.

[47] Vgl. Ludger Fischer: Über den Denkmalwert sogenannter Zweckbauten. Die Königlich-Preußische Strafanstalt in Werden an der Ruhr, Annweiler 1987. Bau des mittlerweile abgebrochenen Lazaretts (Südflügel) 1845-47, der noch erhaltenen Strafanstaltskasere (Nordflügel/ alte Aula) 1852-54.

[48] Stadtarchiv Essen, Rep. 110, IX, Nr. 3, S. 116-119.

[49] Stadtarchiv Essen, Rep. 110, IX, Nr. 3, S. 213.

[50] Stadtarchiv Essen, Rep. 110, IX, Nr. 3, S. 220.

[51] Von lokalhistorischem Interesse: später bewohnt von Zahnarzt Kramer.

[52] Stadtarchiv Essen, Rep. 110, IX, Nr. 3, S. 223.

[53] Stadtarchiv Essen, Rep. 110, IX, Nr. 3, S. 248: „Auszug aus dem Protokoll des Magistrats vom 10 März 1853. Von den Tuchfabrikanten Herren Gebrüder Wiese war ein Schreiben vom 7. dieses Mts. eigelaufen in welchem sie den Antrag stellen, mit der Stadt einen Austausch an Grundeigenthum vorzunehmen. Es war dem Schreiben eine Handzeichnung beigelegt, nach welcher die Stadt von Herren Gebrüder Wiese vom Castellplatz gegen Osten ein Theil von ca 7 Ruthen Quadratfläche als Eigenthum abgetreten erhält, dagege nach Süden zu eine kleine Grundfläche an Gebrüder Wiese abtreten soll. Magistrat hält diesen Austausch für ganz im Interesse der Stadt, indem es dadurch möglich wird hinter dem Eigenthum von Herren Gebrüder Wiese nach der Bungertstraße mit einer Pferdekarre hinzukommen. Die Abtretung gegen Süden hindert gar nicht, indem die Stadt hinter dem Wege von der Ruhr nach der Rittergasse noch einen Streifen Gartenland besitzt, das später mit zum Wege genommen werden kann, Der Bach kann dann längst dem Garten von Herrn Dr. Neuhaus gelegt werden. V. G. U. A. Gzt. Bruns, R. Huffmann, B. Wiese, H. Grüter

[54] Stadtarchiv Essen, Rep. 110, IX, Nr. 3, S.252-253.

[55] Stadtarchiv Essen, Rep. 110, IX, Nr. 3, S. 250.

[56] Vgl. Dickhoff 1979, S. 15 und 142.

[57] Vgl. Ludger Fischer: Über den Denkmalwert sogenannter Zweckbauten. Die Königlich-Preußische Strafanstalt in Werden an der Ruhr, Annweiler 1987.